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Asterix grammaticus, Oder: Was Schulmeistern in die Finger gerät

aus: Altsprachlicher Unterricht

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aus: Der Altsprachliche Unterricht 5/1976 von Wolfgang Ries, Ladenburg

Lateinische Klassenarbeit in einer 9. Klasse, 5. Lateinjahr. Wiederholung der Grammatik. Als Aufgabe Nr. 6 war - nach einer Darstellung der Satzfragen im allgemeinen - folgendes verlangt: "Schreibe mindestens zwei Arten von Entscheidungsfragen (natürlich mit Angabe der Fundstellen) aus dem Text heraus." Und was fanden die Schüler?

Als Beispiel für die erwartete negative Antwort: nicht etwa Sätze wie Num te immortalem esse putas?, sondern: Num tu Ben Hur es furcifer? So entrüstet sich ein Verkehrsteilnehmer, der eben im Gedränge eine biga, einen flotten Sportwagen sozusagen, gestreift hatte und von dem wütenden Wagenlenker angebrüllt worden, war: Noli turbare curriculum meum, o barbare! Die Fundstelle: 11,2,2.

Wer von den Latein-Kollegen den Fundort noch nicht ermittelt hat, möge hier eine zweite Schülerantwort lesen. Beispiel für 'offene' Satzfrage: Visne alterum aprum, Obelix? (5,2,3). Erraten, der Text stammt aus den Abenteuern eines "geheimen Miterziehers"(1), genau gesagt, aus der ´Falx aurea´, composuit Goscinny, pinxit Uderzo, in Latinum convertit Rubricastellanus. Dies ist, nach dem leider schon wieder vergriffenen Asterix Gallus vom selben Übersetzer (K. H. Graf von Rothenburg), die zweite lateinische Asterix-Folge, 1975 in erster Auflage erschienen (2). Wir Lateinlehrer sollten, meine ich, dieses Angebot nutzen. Warum?

Gewiss, jeder von uns wird schon einmal lateinische Übersetzungen deutscher Originaltexte in seinem Unterricht verwendet haben, etwa den römischen Struwwelpeter oder die geistreichen Versionen der Studentenlieder bzw. der Morgenstern-Gedichte, beide von Peter Wiesmann (Lebendige Antike, Artemis). Doch während diese Übertragungen für kurzfristigen Einsatz bestimmt sind (Vertretung, Auflockerung nach einer Klassenarbeit, letzte Stunde vor den Ferien), handelt es sich bei der ,Goldenen Sichel' um eine größere Einheit von 46 DIN A 4-Seiten; in der Sprache der Lehrpläne ist es eine Ganzschrift.

Worum geht es da? Der Inhalt ist schnell erzählt. Panoramix, der Druide unseres gallischen Widerstandsnests, hat unglücklicherweise seine goldene Sichel zerbrochen. Ohne dieses Werkzeug kann er weder die Misteln für den Zaubertrank schneiden noch am Jahreskongreß der gallischen Druiden teilnehmen. Guter Rat ist teuer. Da erbieten sich Asterix und Obelix, die beiden ungleichen Freunde, den weiten und gefährlichen Weg nach Lutetia (Paris) zu machen, um dort bei dem besten falcarius Galliens eine neue Sichel zu kaufen. Es versteht sich, dass die Story auf der letzten Seite (46) ihr Happy End findet und dass der unglückliche Barde - Cantorix heißt er in der lateinischen Fassung - auch diesmal nicht zu seinem Lied kommt. Dazwischen vielerlei Abenteuer, gefährliche und komische, die Entdeckung einer Entführerbande und sogar die Entlarvung des Chefs der weitverzweigten Mafia; es ist der römische Praefekt höchstselbst. So weit, so gut. Wozu soll man das auf Latein.lesen?

Die Frage nach den Lernzielen ist damit gestellt. Um sie zu beantworten, kann und will ich nicht auf Vollständigkeit der Aspekte achten (3); es geht mir nur darum, meine eigenen Vorstellungen im Lernzielbereich Sprache zu nennen und die Arbeit an diesem Text zu skizzieren. Manches Subjektive erklärt sich auch aus der Situation der Klasse.

Die Schüler hatten, als ich zu Schuljahrsbeginn den Lateinunterricht übernahm, nach Abschluss des Übungsbuchs etwa 10 Kapitel Caesar gelesen. Bei der Fortsetzung dieser Lektüre fiel mir die Unsicherheit im Handwerklichen besonders auf, ebenso (z. T. als Folge davon) das mangelnde Interesse an der Lektüre, beides nicht gerade selten auf dieser Altersstufe. Deshalb mein Versuch mit Asterix. Die vermisste Motivation war durch den Stoff selbst gegeben - die Schüler kannten im Durchschnitt schon 18(!) Hefte der Asterix-Reihe-, und die Beschäftigung mit diesem amüsanten Stoff musste dazu dienen, das Handwerkszeug für die Erschliessung original-lateinischer Texte bereitzustellen. Auf drei Lernziele hatte ich also besonders zu achten: die Wortkunde sollte erweitert, die Grammatik vertieft, die Übersetzungsfähigkeit geschult werden.

Nun ja, werden manche Kollegen sagen, die sich schon jahre- oder jahrzehntelang mit den gleichen Schwierigkeiten herumschlagen müssen. Warum nimmt man dazu nicht zusammenhängende Stücke aus dem Übungsbuch, vielleicht auch aus Krackes Lescheft ´Vita Romana´ oder dem Textband von ´Redde rationem´? Weil der Asterix-Comic den unbestreitbaren Vorzug hat, nicht nach Schultext und Lateinbuch zu riechen; weil er ganz einfach Spass macht. Vor allem trieft da nicht das sattsam bekannte Schulbuch-Moralin aus allen Poren. Da erzählt kein strenger und gerechter Grossvater/Lehrer den aufmerksamen und fleissigen Mädchen/Jungen Geschichten vom Ruhm des Vaterlands und den Tugenden der Vorfahren; das besorgt hier unser Kollege Cantorix, dessen Gesang keiner hören will und der (deswegen?) Teilzeit-Pädagoge geworden ist: Age puer, quid de moribus maiorum referre potes? (5). Die Halbwüchsigen des Dorfes haben andere Dinge im Kopf: Nobis dicent - so freut sich eine blondzöpfige Dorfschöne über die Heimkehr von A. und 0. -, quibus vestibus Parisiacae se hoc anno ornent (46). Aber wieso sollte man nicht auch an einem solchen Satz den abl. instrumenti, den abl. temporis und die consecutio temporum der indirekten Rede üben können, abgesehen davon, dass es nicht ganz leicht ist, das wörtlich Verstandene in modernes, rollengemässes Teenager-Deutsch zu übertragen? Frecher Witz treibt sein Spiel in den latinisierten Abenteuern des kleinen Pfiffigen und des dicken Grobians nicht zuletzt mit dem traditionellen und von uns vielfach mit pädagogischer Verfrühung tradierten Bildungsgut. Wenn bei Rubricastellanus die Properz-Sentenz auftaucht in magnis voluisse sat est (2,10,6), dann kann damit ein Kind von 14 Jahren zunächst so wenig anfangen wie mit dem edlen Tiefsinn des Satzes vacare culpa maximum est solacium (zur Einübung des Separativus im Übungsbuch). Allerdings: im Kontext der Asterix-Stelle wird der Vers - Zugabe des Übersetzers - bewusst als Zitat verwendet, er passt zu der gravitätischen Würde des alten Stammesfürsten. Überhaupt spielen ja geflügelte Worte eine grosse Rolle in diesem lateinischen Asterix. Der Reigen führt von Archimedes (noli turbare ... s. o.) bis zu Augustinus; Cicero, Caesar, Vergil fehlen ebensowenig wie Catull. Für den Esprit des Übersetzers bei der Übernahme wörtlicher Zitate und der literarischen Anspielung je ein Beispiel: Asterix beschwert sich über die hohen Wildschwein-Preise in Paris. Darauf Obelix: "Und der Verkäufer hat gesagt, dass die Preise noch steigen. Armes Gallien!" Dieser Verzweiflungsruf - im Original steht "Pauvre Gaule!" - wird nun ciceronisiert: 0 tempora, o mores! (21). Catulls passer-Gedicht, grotesk verfremdet, klingt an, wenn der grobschlächtige, garantiert unmusische Naturbursche Obelix an seinen Braten denkt: aper, deliciae meae lingulae (9).

Ich muss hier abbrechen. Was zur Begründung der Schüler-Motivation gedacht war, wird hoffentlich auch einige Kollegen für die `Falx aurea´ gewinnen können. Warum sollten nicht auch wir unseren Spass an solchem Unsinn haben und auf literarische Fährtensuche gehen? Selbst die grammatischen Kriminalisten dürften fündig werden, denn nicht überall genügt die Übersetzung dem Kanon der Herren Menge, Schmalz u. Co. Unseren Schülern jedoch bietet sich zur Übung ein weites Feld. Hierzu einige Vorschläge in der (als Klimax verstandenen) Reihenfolge der sprachlichen Lernziele.

1. Wortkunde:

Auf die Gesetze der Wortbildung sollte man besonders achten. Der Lehrer muss sich allerdings die Mühe machen, die entsprechenden Kapitel aus einer Wortkunde (Habenstein) nachzuschlagen, an Ort und Stelle zu besprechen und die Hausaufgabe in der nächsten Stunde zu kontrollieren. Wichtig ist aber auch -jeweils mit Eintragung in das Vokabelheft - die Einführung in den Wortschatz römischer Alltagssprache (etwa en, ain, age. quaeso, amabo, ita est, certe qidem, minime vero, fac abeas, facessite hinc usw., dazu die Schimpfwörter, Flüche, Götterbeschwörungen). Gerade auf diesem für ihn interessanten und sogar zu eigenen Sprachversuchen (Flüchen!) verleitenden Gebiet bringt der Schüler keinerlei Vorkenntnisse mit; und wenn er das Pech hat, später weder Plautus noch pompeianische Inschriften noch Horaz-Satiren zu lcsen, geht er von der Schule ohne eine Ahnung von der vita vere Romana.

2. Grammatik:

Hier handelt es sich eher um Sicherung des leidlich Bekannten als um Neudurchnahme. Das Pensum kann deshalb umfangreicher sein. Überhaupt sollte der Schüler bei diesem zweiten Durchgang durch die Grammatik einen Blick bekommen für grammatische Kategorien, etwa dafür, dass und warum der abl. comparationis zum Separativ gehört ... Was die Methode einer solchen Wiederholung angeht, habe ich gute Erfahrungen gemacht mit einer sogenannten Asterix-Grammatik: Die Schüler fassen - in einem eigens dafür angelegten Heft - die von mir jeweils anhand des Textes angegebenen Grammatik-Paragraphen in Hausarbeit zusammen und illustrieren sie mit Beispielen, die im Verlauf der Lektüre ergänzt werden. Nach einigen Stunden Übung sind sie fähig, die ´Falx aurea´ selbständig zu erschliessen, d. h. die aufgefundenen Phänomene den entsprechenden Rubriken der ´Asterix-Grammatik' zuzuordnen und dort (mit Angabe der Fundstelle) einzutragen. Zur Bewältigung des Stoffes empfiehlt sich bald die Gruppenarbeit, mit deren Hilfe je 4-5 Seiten Text durchforscht werden. Einteilung der Gruppen z. B.: Genetiv/Dativ, Ablativ, Infinitiv, Partizip/Gerundiv, indikativische Nebensätze, konjunktivische Nebensätze. Die Ergebnisse werden ausgetauscht und im eigenen Heft festgehalten. Wechsel der Gruppenzusammensetzung verhindert Monotonie; jedoch sollte wenigstens ein 'guter' Schüler bei den Satzlehre-Gruppen beteiligt sein.

3. Übersetzungstechnik:

Sie hat sich -als Zusammenfassung von l und 2 überall zu bewähren. Gewichtigster Einwand: Grosse Perioden, wie bei Caesar und Cieero, fehlen in der relativ knappen Sprache des Comics. So wird man den Schwerpunkt also auf exakte Texterfassung legen: Wörtlich übersetzen! Der Umstand, dass die meisten Schüler auch die deutsche Ausgabe besitzen, kommt dem Lehrer sogar zugute. Er lässt jetzt die zwei Fassungen vergleichen, und da zeigt sich sofort, dass man, vom grob Inhaltlichen abgesehen, bei der deutschen Ausgabe wenig Hilfe findet, anders als beim Caesar -'Schulmann'. Die Folge: Ausser Grammatik- und Vokabel-Kenntnissen ist hier sprachlich-stilistisches Empfinden in hohem Masse gefordert. Ein allerletztes Text-Beispiel soll Schwierigkeit und Reiz des Übersetzens verdeutlichen. A. zetert über Wucherpreise: "Das ist Diebstahl! Jawohl, das ist es!" Lateinische Version: Auri sacra fames! Rapacior es quam fiscus (16)! Das Wörterverzeichnis (47,48) ist reichlich lückenhaft, weit und breit kein Kommentar: welche Möglichkeiten für Schüler und Lehrer! Zum Abschluss noch ein paar praktische Stichworte. Zeit für Lektüre und Auswertung, 10-15 Stunden. Etwa in der Mitte oder gegen Ende der Unterrichtseinheit - bei mir nach 7 Stunden - Klassenarbeit (1 1/2 Stunden) mit verschiedenen Aufgaben: Übersetzung, Vergleich der lateinischen und der deutschen Fassung, Fragen nach Wortbildung und Wortbedeutung, grammatische Erläuterungen im Kontext, Aufsuchen bestimmter grammatischer Phänomene im Text oder lückenlose grammatische Erfassung einer Buchseite. Anderer Anwendungsbereich (noch nicht erprobt): Oberstufenklasse, evtl. zum Aufgalopp kurz vor dem schriftlichen oder mündlichen Abitur.

Unseriöses, subjektives Fazit (als Asterix-Collage):
Fuitne operae pretium Asterigis tractatio (5)? Ah, prima, primissima (15)!

Klassenarbeit zu Asterix

Falx aurea (1-17)

Randbemerkungen

  1. So nennt Manfred Fuhrmann den Comic-Helden im Untertitel eines amüsanten Vortrags über Asterix, gehalten Ostern 1974 bei der Tagung des DAV, jetzt in: Fuhrmann, M.: Alte Sprachen in der Krise? Ernst Klett Verlag, Stuttgart 1976. Hier finden sich - von der literarischen Würdigung abgesehen - wichtige Bemerkungen über Wirkung der Asterix-Lektüre: zunehmendes Interesse am Fach Latein in Frankreich, zunehmende Kenntnisse der res Romanae bei deutschen Lesern!
    HOCH
  2. Ehapa-Verlag Stuttgart. Zitiert wird i.a. nach Seitenzahl. Wo drei Zahlen genannt sind (wie bei der Textarbeit in der Klasse), handelt es sich um Seite, Reihe bzw. Leiste, Bild.
    HOCH
  3. Hier ist - neben Fuhrmann - besonders empfehlenswert: Stoll, André: Asterix - das Trivialepos Frankreichs. Die Bild- und Sprachartistik eines Bestseller-Comics, Köln 1974 (Dumont Kunsttaschenbücher 17). Knappe. nützliche Information über die Gattung bietet: Greiner, Rudolf (Hrsg.), Comics, Stuttgart 1974 (Reclams Arbeitstexte f. d. Unterricht, 9522). (Leider inzwischen vergriffen, v.R.)
    HOCH

 

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