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Medienphaenomen Asterix

6 Millionen Startauflage, 2,8 Millionen davon allein im deutschsprachigen Raum - keine andere Comic-Serie, ja, kein anderes Druckwerk überhaupt, kann hierzulande mit ähnlichen Zahlen aufwarten. Was aber steckt hinter dem grossen Erfolg des kleinen Galliers?

Unübersehbar, unüberhörbar schallt der Ruf durch die Lande - Asterix Band 30 ist soeben druckfrisch in allen Trafiken und Buchhandlungen eingelangt. Kaum ein Medium, egal ob TV, Radio oder Print lässt sich die Gelegenheit entgehen, mehr oder minder Akkurates über die erfolgreichen, unbeugsamen Gallier und/oder ihren Schöpfer Albert Uderzo, beziehungsweise dessen verstorbenen Mitvater René Goscinny zu berichten.

Kein Wunder, die Zahlen sprechen für sich: 2,8 Millionen Startauflage allein im deutschsprachigen Raum! Damit katapultiert sich der neue Asterix-Band (ebenso wie seine Vorgänger) von Null auf Platz eins der Printstatistik: kein anderes Buch, kein Magazin, ja nicht einmal eine Tageszeitung ("Bild" und "Krone" bleiben je weit unter zwei Millionen) kann mit einer derartigen Auflage mithalten.

Fast noch bedeutsamer ist dabei aber die Tatsache, dass diese 2,8 Millionen deutscher Alben fast die Hälfte(!) der europaweiten Erstauflage von 6 Millionen ausmachen. Keine Frage, Asterix ist ein Medienphänomen der grössten Ordnung.

Warum das so ist, lässt sich sogar relativ einfach beantworten. Allerdings nur, wenn man sich mit der 37jährigen Geschichte der Serie und vor allem den Grundbedingungen des Mediums Comics im deutschen Sprachraum etwas vertraut gemacht hat.

Comicaler Geniestreich

Da wäre zuerst die unleugbare Tatsache, dass Asterix eine geniale belletristische Schöpfung ist. Wie selten sonst vereinen sich in den (vor allem alten) Bänden höchste Zeichnerkunst mit unterhaltsamen und intelligenten Geschichten. Zwar ist Asterix nicht, wie viele oberflächliche Leser und Kritiker meinen (die einfach nichts anderes kennen), die beste Comic-Serie der Welt, aber die Serie gehört sicher zum Besten, das das Medium zu bieten hat. Und einzelne Bände reichen sicher in die Top 50 der besten Erzählungen der ersten hundert Jahre der Comics hinein.

Dazu ein Kürzest-Abriss der Geschichte und Besonderheiten der Serie: 1959 für ein französisches Comic-Magazin namens "Pilote" geschaffen von zwei alten Comic-Hasen namens Uderzo und Goscinny, die bereits auf eine umfangreiche Bibliographie verweisen konnten, erschien 1961 das erste französische Album mit einer Startauflage von 6000 Exemplaren.

Die Geschichte um die Bewohner eines kleinen gallischen Dorfs zur Römerzeit war eine Parodie auf mehreren Ebenen: zum einen galt es das verstaubte Geschichtsbewusstsein des konservativen Frankreichs ein wenige aufzumöbeln, zum anderen waren die superstarken Recken des Dorfes eine Parodie auf die amerikanischen Superhelden-Comics, die zu dieser Zeit in Frankreich verboten waren. Beides spiegelt sich vor allem in den Namen der Protagonisten wider.

So stammt der Name "Asterix" von dem kleinen typographischen Zeichen * - einem sogenannten "asterisque". Hier verbindet sich die Bedeutung "Kleiner Stern" (= Star) mit dem vom historischen Vercingetorix ausgeborgten Endsuffix (sic!) "-ix". Die Übertragung der Inhalte und Wortwitze in andere Sprachen gelang - zum grossen Erstaunen der Autoren - ausgezeichnet, und so stand einer internationalen Vermarktung der Serie nichts mehr im Wege.

Dem grossen Alben-Erfolg schlossen sich Kinofilme an, Bilderbücher und andere Nebenserien entstanden und die Merchandise-Lawiene begann ins Rollen zu geraten. Vorläufige Höhepunkte: die Errichtung eines Asterix-Vergnügungsparks nach Diseny-Muster im Jahr 1989 in der Nähe von Paris und eine grossangelegte Asterix-Eis-Revue, die derzeit durch Deutschland tourt.

Doch trotz all dem ist die Serie und ihre Figuren bei weitem nicht so vermarktbar wie etwa die Disney-Charaktere. Der Grund lässt sich leicht erkennen, wenn man bedenkt, welche Disney-Figuren denn am stärksten vermarktet werden: Micky, Minnie und Goofy, die leichtverdaulichen, stets adaptierbaren, Kindchenschema-Tiere sind's. Der viel komplexere Donald und dessen Verwandte, bleiben in punkto Vermarktung dagegen weit zurück. Dafür hat Donald auf den Print-Sektor bei weitem mehr Fans.

Die selbe Logik gilt auch für Asterix, Obelix, Idefix, Miraculix und Co. Was ihren immensen Alben-Erfolg begründet, komplexere Zeichnungen, gutdurchdachte Charaktere und intelligente Handlungen, zeigt sich bei einer Vermarktung, die auf simple optische Reize und Gefühle abzielt, als eher hinderlich. Dennoch - mit vergleichbaren Marketing-Erfolgen intelligenter Figuren, wie etwa Snoopy und den Peanuts, kann Asterix jederzeit mithalten.

Und daher bleibt auch der Appetit des Marktes nach neuen Abenteuern gross. Denn während etwa der dänische Egmont-Konzern mit einen internationalen Heer von Zeichnern gut 12.000 Seiten Disney-Comics pro Jahr produziert, sind 44 Seiten Asterix alle paar Jahre das einzige, das von dieser Serie und ihrem Zeichner Uderzo, der nach dem Tod von Goscinny 1977 auch die Texte verfasst, zu erwarten ist.

Dementsprechend freuen sich die Fans auch schon lange vor Erscheinen eines Bandes auf diesen - und fürchten sich gleichermassen, reichen die Uderzo-Solo-Bände doch nie auch nur annähernd an die grossen Klassiker wie "Asterix bei den Briten", "Asterix als Legionär", "Asterix auf Korsika" etc. heran.

Wasserkopf Deutschland

Tatsächlich mochte den letzten Band "Asterix und Maestria" so gut wie niemand. Frauenfeindlich meinten die einen, fad die anderen, sogar schlecht gezeichnet die dritten. Dennoch - und das ist das wahrlich Verblüffende - fieberte Europa dem neuen Band nach fünf Jahren des Wartens, aber auch des Misstrauens, entgegen. Allein die Auflage der Verlage, die sicher nicht zu hoch angesetzt wurde, spricht da für sich. Womit wir bei der zweiten Frage angelangt wären, weshalb gerade Asterix in deutschen Landen so viele Leser und Käufer motivieren kann.

Die Antwort liegt faszinierenderweise gerade an der (nicht nur) latenten, comicfeindlichen Stimmung in der Schweiz, Deutschland und Österreich (in aufsteigender Reihenfolge).

Denn - so noch immer der allgemeine Tenor - Comics seien ein billiges, minderes Medium ohne erzieherischen oder sonstigen Wert. Diese Vorurteile, die aus den 50er Jahren stammen, als noch wahre pädagogische Kämpfer gegen alles vorgingen, das neu, bunt und gefährlich schien (Kino, Fernsehen, Illustrierte, Romanhefte und Comics), haben sich nämlich nur in letzterem Fall - aufgrund mangelnder starker Lobby - gehalten. Comics wurde ein Nischendasein im Kindersektor gewährt und aus. Dass das international ganz anders aussieht, dringt hierzulande nur langsam ins Bewusstsein der Öffentlichkeit oder auch der Kultur- und Medien-Experten ein.

Und so finden sich die jungen Leser von "Micky Maus" (wöchentliche Auflage: 1 Million) und anderer Kindercomics mit ca. 14 Jahren vor die Tatsache gestellt, dass es keinen adäquaten Lesestoff mehr für sie gibt. Comics für Jugendliche (Abenteuer, Superhelden etc.) gibt es kaum, der Sprung auf die hochqualitativen Buchhandelscomics mit Stückpreisen ab öS 100,- ist finanziell und meist auch logistisch kaum durchführbar. Einzige Ausnähme hier, zusammen mit "Lucky Luke" und "Clever und Smart", die Asterix-Bände. Denn die sind nicht nur vergleichsweise billig (öS 59,-), qualitativ und intelligent - im Gegensatz zu allen anderen Comics sind sie auch voll sozial akzeptiert!

Diese Position stammt bereits aus den 60ern: einerseits waren die damals neuen Asterixe eine Lieblingslektüre der revoltierenden Studenten, andererseits wurden sie auch bald von den Comic-Gegnern nicht mehr bekämpft, sondern vereinnahmt.

Seitdem ist Asterix, etwa im Fremdsprachenunterricht, ein fast fixer Bestandteil des Lehrplans. Jeder kennt die Serie und im Gegensatz zu allen anderen Comic-Serien ist man out, wenn man Asterix nicht gelesen hat...

Und damit muss der kleine Gallier und seine Gefährten das unterschwellig vorhandene Bedürfnis einer ganzen Bevölkerung nach Comics allein abdecken. Einer Bevölkerung, die lieber fünf Jahre auf eine neue (mögliche) Enttäuschung wartet, als den Schritt zu anderen Serien mit durchaus gleicher Qualität zu wagen, die vielleicht im Ausland ähnlich hohe Verkaufszahlen aufweisen, im deutschen Raum aber mit wenigen tausend Stück an der unteren Grenze der Finanzierbarkeit herumdümpeln. Schlecht für das Medium, gut für Asterix, seinen Verlag und seinen Zeichner Uderzo.

Aber, ohne jeden Zweifel, es gibt schlimmere und bei weitem unsympathischere Medienphänomene. Und noch ein Trost: der neue Band "Obelix auf Kreuzfahrt" ist gar nicht so schlecht...

Mit freundlicher Erlaubnis von Harald Havas.

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