Hallo,
gestern ist bei mir der Bd. 6 von Jerry Spring aus dem ALL-Verlag - mit der Goscinny-Geschichte "Das Gold des alten Lender" -, dessen Erscheinen eigentlich erst für den 15.03.2023 angekündigt war, eingetroffen. Hintergrund ist wohl, wie ich im ALL-Verlagsforum gelesen habe, dass der Verlag die Comics für zwei Monate, hier nun Februar und März, jeweils gemeinsam drucken lässt.
Das HC-Album ist sehr schön gemacht und vom Äußeren her ganz gewiss ein Mehrwert gegenüber einem Bastei-Heft. Wie von den ALL-Verlags-Gesamtausgaben gewohnt, ist auch hier eine Bibliographie zu den enthaltenen Geschichten vorangestellt. Diese beantwortet auch die von mir oben aufgeworfene Frage, ob die Geschichten ursprünglich in Farbe oder in Schwarzweiß veröffentlicht worden sind. Darin liest man, dass sie ursprünglich, also 1956, vierfarbig in Spirou zum Abdruck kamen. Weshalb man dann auf die Idee gekommen ist, bei der Gesamtausgabe von 2010/2011 (auf Deutsch bei Egmont erschienen) die Farben wegzulassen, erschließt sich mir nicht wirklich - auch wenn die Schwarzweiß-Fassung bei Fans ja offenbar Freunde gefunden hat.
Die Geschichte ist, wie hier bereits erörtert, keineswegs humoristisch. Es geht um die Aufklärung eines Mordes (bzw. später zweier Morde) in einem Western-Setting. Die Geschichte ist durchaus solide, die Auflösung dann eher mäßig überzeugend. Wie zu erwarten, kann man eine "Handschrift Goscinnys" hier nicht herauserkennen, weil der ernste Erzählstil dafür eben zu untypisch für ihn ist.
Die Zeichnungen Jijés sind natürlich gekonnt, das erkennt man auch als Laie. Realistisch gezeichnete Comics kann man nun mögen oder eben nicht so, das tut der Einschätzung ja keinen Abbruch. Etwas unklar ist mir, ob es sich bei der Kolorierung um die Originalfassung von 1956 oder eine neue Kolorierung handelt. Auffällig ist jedenfalls, dass diese Unstimmigkeiten aufweist. So ändert sich Williams Haarfarbe von Seite 55 letztes Bild zu Seite 56 erstes Bild von blond-braun zu weiß. Jerry Springs Hemd, das eigentlich gelb ist, ist auf Seite 60 viertes Bild plötzlich weiß, um im Bild gleich daneben wieder gelb zu sein. Wenn die Farbgebung historisch so ist, dann ist das natürlich in Ordnung, es so abzudrucken. Für eine Neukolorierung wäre es eher ein Zeichen mangelnder Sorgfalt. - Aber gut, auf die Zeichnungen kommt es für die Zwecke dieses Threads ja auch nicht so an.
Neben der bereits erwähnten schönen Aufmachung des HC-Albums mit gutem Papier etc. ist auch das reich bebilderte Vorwort durchaus lohnend und ein Grund, dieser Ausgabe den Vorzug gegenüber der Bastei-Ausgabe zu geben. In dem informativen Text erfährt man einiges über Jijés Zusammenkommen mit René Goscinny. Etwas bedauerlich ist, dass insoweit auch mehrfach auf andere Bände der Jerry-Spring-Ausgabe verwiesen und das Thema letztlich nicht zuende ausgeführt wird. Das ist für eine zusammenhängende Gesamtausgabe aber natürlich legitim. Allerdings hätte ich an sich schon eine Einordnung aller in dem vorliegenden Band enthaltenen Geschichten sinnvoll gefunden. Thematisiert wird aber allein die Geschichte "Das Gold des alten Lender". Über die gibt es wegen der für die Reihe außergewöhnlichen Zusammenarbeit mit Goscinny sicherlich auch mehr zu sagen. Dass zu der Entstehung der anderen Geschichte ("Die Spur in den hohen Norden") überhaupt nichts gesagt wird, ist aber schon etwas schwach. Insbesondere erfährt man, da auch dem Comic selbst und der vorangestellten Bibliographie dazu nichts zu entnehmen ist, nicht einmal, wer die Texte zu dieser Geschichte verfasst hat.
Unter der reichen Bebilderung des Vorworts findet sich erfreulicherweise auch eine Ankündigungs-Annonce für "L'or du vieux Lender" (also dt. "Das Gold des alten Lender"), was eine angenehm abrundende Ergänzung zum Abdruck der Geschichte darstellt. Unerklärt und damit etwas unmotiviert erscheint allerdings der Abdruck mehrerer Schwarzweiß-Comicseiten, die mit Jerry Spring nichts zu tun zu haben scheinen. Aus einem sehr kurzen Text erfährt man lediglich, dass es sich um eine unvollendete, 1973 von Jijé gezeichnete Comic-Geschichte namens "Mein Name ist Nobody" handelt. Weiter wird im Vorwort nicht darauf eingegangen, so dass unklar bleibt, weshalb diese hier (in einem Band mit Comics aus dem Jahr 1956!) zum Abdruck kommt und was ihr Hintergrund ist.
Isoliert betrachtet ist der Comic durchaus interessant, denn es scheint mir inhaltlich sehr eine Comic-Fassung der Italo-Westernkomödie "Mein Name ist Nobody" von 1973 mit Terence Hill (der ja auch den Lucky Luke in der Realverfilmung von "Daisy Town" und einer anschließenden kurzlebigen TV-Serie gemimt hat) zu sein. Auch die Gesichtszüge eines der Protagonisten scheinen mir an Terrence Hill angelehnt zu sein. Allerdings wird in der (deutschen)
Wikipedia (auch auf der Diskussions-Seite) zu dem Film nicht erwähnt, dass es eine Comiocversion von Jijé dazu gab oder mal geben sollte.
Für etwas Verwirrung sorgt eine Abbildungsunterschrift auf Seite 7 dieses Jerry Spring-Bandes. Die Abbildung zeigt das Cover der französischen Ausgabe von Jerry Spring 6 "La piste du grand nord", das auch auf Seite 19 nochmals ganzseitig abgebildet ist. Auf Seite 7 steht jedoch darunter: "Bruno Marchand (
Schritte ins Licht,
Die Träume des kleinen Nemo) hat dieses Hommage-Cover zum vorliegenden Album gezeichnet." In der Tat entspricht das Cover dem des vorliegenden Bandes. Ich vermag aber zu dem auf Seite 19 abgebildeten Original-Cover keinen Unterschied zu erkennen. Selbst wenn es nachgezeichnet sein sollte, was daran ist eine "Hommage"? Das wäre eher eine Kopie.
Ein weiteres Fragezeichen - nunmehr jedoch an der Qualität bzw. der Originaltreue der Übersetzung - hinterlässt ein im Vorwort gebrachtes Zitat einer Aussage von Jean Giraud über die in diesem Band enthaltene Goscinny-Geschichte. Es lautet: "Ich erinnere mich, wie in
Das Gold des alten Lender, diesem großartigen
Jerry Spring von Jijé und Goscinny, erklärt wird, dass unter den Lebensbedingungen des Wilden Westen die Männer ziemlich früh wie Greise aussahen." - Wird das im französischen Original in der Geschichte erklärt?
In dieser vorliegenden deutschen Fassung heißt es jedenfalls lediglich, Lender sei ein "falscher Greis". Erklärt wird sodann, man könne "das Alter eines Menschen an seinen Händen erkennen, und auch an anderen Details". Zudem heißt es, dass es im Wilden Westen jede Menge junger Männer gebe, die "bei einer Rauferei ein paar Zähne verloren haben", so dass ein zahnloser Mund kein Beleg für ein hohes Alter sei. All das lässt aber eine kritische Bemerkung über die Lebensbedingungen des Wilden Westens, die zu einem Voraltern führten, nicht erkennen.
Dieses Goscinny-Frühwerk ist - wenngleich ich mich glücklich schätze, es nun zu haben - sicherlich auch für Liebhaber von Goscinny-Texten kein Pflichtkauf. Das gilt ebenfalls für ein weiteres Goscinny-Werk, das ich kürzlich erhaltern habe:
In der Goscinny-Bibliographie in der Reddition 34 findet sich unter "Kurzgeschichten in SUPER POCKET PILOTE" der Hinweis, dass ein 4-seitiger Comic von Goscinny mit Zeichnungen von Jean Giraud unter dem Titel "Italo-Western" (frz. "Western italien", SUPER POCKET PILOTE 2, 01.11.1968) in dem Band Comic miniatur 1986 "Frank & Jeremie"" erschienen sei. Das Heft[*] ist unschwer für ein paar Euro antiquarisch erwerblich. Es handelt sich um Bd. 6 der Reihe "Comicothek miniatur", die ein Ableger des Magazins Comic Forum war und sich auf die Publikation von Frühwerken von Comic-Künstlern spezialisiert hatte. In diesem Band 6 sind eigentlich drei Kurzgeschichten der Serie "Frank und Jeremie" von Jean Giraud abgedruckt. Das von Goscinny mitkreierte Werk "Italo-Western" stellt hierzu eine Art Ergänzung dar. Alle Comics in dem Band sind in schwarzweiß abgedruckt.
"Italo-Western" ist keine Comic-Geschichte im eigentlichen Sinne. Es ist eine Art in Bildern vorgetragener Scherz. Im Einleitungstext heißt es sinngemäß, dass immer mehr Italo-Western aufkommen, die von den amerikanischen Western schwer zu unterscheiden seien. Jedoch verrieten gewisse Einzelheiten manchmal die "lateinische Herkunft" der Filme. Es würden nun Szenen präsentiert, die dem Gedankengut der Amerianer einerseits und der Italiener andererseits gutzuschreiben seien. Der Leser solle herausfinden, welche der Szenen wem angehöre. Es folgen dann sechs eher textarme Bildpaare, die jeweils eine entsprechende Szene zeigen, bei denen sich die beiden Bilder aber in Einzelheiten unterscheiden, so dass man sie klischeehaft dem US- oder dem Italo-Western zuordnen kann. Dabei steht nicht etwa der "Rätselspaß" im Vordergrund, sondern es ist zumeist sehr offensichtlich, welche Szene welchem Westerntyp zuzuordnen ist (z.B. läuft ein Indianer einmal an einem Kaktus und einmal an einer abgebrochenen antiken Säule vorbei, einmal hängt das Bild einer leicht bekleideten Dame im Saloon und einmal das Portrait eines Priesters oder des Papstes).
Auch hier ist schon mangels Text und mangels Länge kein besonders typischer Goscinny-Humor auszumachen, wenn auch die Gegenüberstellungen teilweise ganz lustig sind und ein gekonntes Spiel mit Klischees zeigen. "Scenario de Goscinny - Dessin de Gir." steht aber darüber, so dass an der Urheberschaft auch in der deutschen Ausgabe kein Zweifel besteht. Letztlich war es für ein paar Euro kein Fehlkauf, ist aber auch kein Sahnestück, ohne das man nun viel verpasst hätte.
Gruß
Erik
[*] Es ist eigentlich wohl kein Heft, sondern gelumbeckt in kartoniertem SC-Einband, mit Schutzumschlag und Rückenbeschriftung. Allerdings fällt es mir etwas schwer, eine DIN A5 Publikation als "Album" zu bezeichnen.